Die Entwicklung der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Entwicklung der tschechoslowakischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg stellte eine starke historische Zäsur in ihrer Geschichte dar. Die Machtverhältnisse in Europa hatten sich insofern geändert, als zwei neue Großmächte in die europäische Politik getreten waren – die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika, die Seite an Seite gegen Nazi-Deutschland gekämpft hatten. Nach dessen Niederlage wurden die Interessen dieser beiden Großmächte jedoch immer unterschiedlicher, bis zwei einander entgegengesetzte Blöcke entstanden. Die Tschechoslowakei war zunächst bemüht, nach dem Krieg eine „Brücke zwischen Ost und West“ zu werden, also ein Land, das eine Drehscheibe zwischen den beiden Blöcken sein und im Bereich Wirtschaft, Politik und Kultur mit beiden freundschaftliche Kontakte unterhalten sollte. Dies gelang jedoch nicht und die Tschechoslowakei inklinierte von 1945-1948 immer mehr zur Sowjetunion.

Für die Tschechoslowakei kam es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu starken Einschnitten in der politischen, aber auch in der sozialen und wirtschaftlichen Sphäre. Die größte Veränderung erfolgte aufgrund der Vertreibung der deutschen Bewohner aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet, wodurch das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen, das seit der deutschen Kolonialisierung im Mittelalter bestanden hatte, ein jähes Ende fand. Die unversöhnliche antideutsche Stimmung und der Ruf nach Vergeltung nach dem Krieg fanden insbesondere in der Anfangsphase der Vertreibung ihren Niederschlag, in der es zu zahlreichen Fällen von Gewaltanwendung, Unmenschlichkeit und Erniedrigung kam. Die organisierte Vertreibung begann Ende Januar 1946 und wurde offiziell am 1. November desselben Jahres abgeschlossen. Nach offiziellen Quellen verlor die Tschechoslowakei somit fast 2,2 Millionen Deutsche,[1] was zugleich auch große wirtschaftliche Probleme im tschechoslowakischen Grenzgebiet nach sich zog, da die neuen Bewohner weder zahlenmäßig, noch kulturell, moralisch oder wirtschaftlich ein Niveau aufwiesen, dass sie die alten Bewohner hätten ersetzen können. Die tschechoslowakische Regierung hatte auch die Absicht, die ungarischen Einwohner vor allem aus der Südslowakei zu vertreiben. Diese Pläne konnten jedoch nicht realisiert werden, weil dafür keine internationale Unterstützung gewonnen werden konnte.

Im Zuge dieser Ereignisse nach dem Krieg wurden auch jene bestraft und verfolgt, die mit den NS-Machthabern kollaboriert hatten. So wie die führenden Nationalsozialisten im August 1945 vor dem Nürnberger Gerichtstribunal standen, so sollten auch tschechoslowakische Bürger für solche Verbrechen bestraft werden. Dies erfolgte aufgrund der Retributionsdekrete Nr. 16 und 138/1945 Sammlg. Mitglieder der Protektoratsregierung wurden vom neu entstandenen Nationalgericht verurteilt; insbesondere diese Prozesse hatten einen klaren politischen Charakter, da die richterliche Unabhängigkeit stark eingeschränkt war. Weniger wichtige Kollaborateure und Handlanger der nationalsozialistischen Machthaber wurden von außerordentlichen Volksgerichten verurteilt. Insgesamt erfolgte die Verurteilung von ca. 33 000 Personen.


[1] Verschwinden sollten nicht nur die Deutschen, sondern auch Bezeichnungen, die an sie erinnerten. Aus einem Rundschreiben des Innenministeriums vom 10. August 1945:„Die Wiederherstellung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse und die neue rechtliche Stellung der Deutschen im Lande Böhmen, Mähren und Schlesien macht es erforderlich, dass auch eine Umbenennung von Straßen und öffentlichen Plätzen im Einklang mit diesen Änderungen vorgenommen wird. Das Innenministerium ersucht (…), alle Bezeichnungen (…) zu beseitigen, die an die Zeit der Unfreiheit, des Nationalsozialismus und dessen Repräsentanten als auch an die Germanisierung und das Deutschtum erinnern, und die beseitigten Namen mögen durch neue geeignete Bezeichnungen ersetzt werden“. Beseitigt wurden auch alle Bezeichnungen, die mit den Nazis nichts zu tun hatten. Beispielsweise wurde in Plzeň (Pilsen) Saský most (Sachsenbrücke) in Rooseveltův most (Roosevelt-Brücke) umbenannt oder Říšské předměstí (Reichsvorstadt) in Jižní předměstí (Südvorstadt) umbenannt, obwohl diese Bezeichnungen schon in der Monarchie bestanden hatten und mit der NS-Zeit nichts zu tun hatten.